So erkannten z. B.
Griechen, Römer, Kelten die Essenz der Kraft eines Ortes in ihrer
Inkarnation als Gottheit, der sie an dem Ort, an dem sie am
deutlichsten erkennbar war, einen heiligen Raum schufen. Sie erscheint
in menschlicher Gestalt aber auch als Stein, Tier oder Pflanze, die
ihre Eigenschaften am Ort am besten ausdrücken.
Auf der
vitalenergetischen Ebene lässt sich die Geistseele in vor Ort wachsende
Pflanzen und deren Kräfte, in der Gestalt von Bäumen und in Steinen
erfahren. Über Gefühle und Bilder lässt sich Zugang zur astralen und
emotional-seelischen Ebene finden, die sich auch in Legenden, Mythen,
Märchen und Sagen ausdrücken kann.
Nicht zuletzt wird die
Kraft eines Ortes erfahrbar als personifizierte menschliche und/ oder
tierische göttliche Erscheinung, je nach kultureller Prägung. So haben
z.B. im christlichen Weltbild Maria, verschiedene weibliche und
männliche Heilige und Engel die ursprünglichen Göttinnen und Götter
abgelöst; jetzt erscheinen bevorzugt UFOs und Außerirdische und bei
Geomanten Elementarwesen und Engel. Eine weitere
Wahrnehmungsmöglichkeit der Essenz der Kraft eines Ortes ist die
Erfahrung, dass sie sich von der geistig-seelischen Sphäre in die
physische, alltägliche Ebene inkarniert und damit auch in realen,
historisch fassbaren Personen erkannt wird, die noch lange nach ihrem
Tod TrägerInnen bleiben, zu legendären, mythischen Personen werden.
Durch deren Verehrung wird sowohl die Geistseele des Ortes erfahrbar
wie auch Rückbindung an die Kraft des Ortes möglich.
Diese Annäherung an die
Erfahrung der Kraft und des Wesens eines Ortes möchte ich beispielhaft
an den verschiedenen Dimensionen der oberfränkischen Stadt Bamberg
zeigen. Die Stadt liegt im Talkessel der Regnitz, kurz vor deren
Mündung in den nördlich von Bamberg fließenden Main, und an den Hängen
der Fränkischen Alb, die sich sichelförmig von Nordost nach Südwest
erstreckt und in die Schwäbische Alb übergeht.
Bamberg: Die sichtbare und
vitalenergetische Ebene
Die sichtbare und
vitalenergetische Ebene Bambergs wird gestaltet durch die Kraft der
Berge und des Wassers. Quellen und Bäche rauschen jetzt nur noch
unterirdisch und sind noch in Straßennamen (z.B. Sutte oder Bach)
erhalten. Sie gliedern die sieben Berge und machen sie fruchtbar. Die
Regnitz bringt die Fruchtbarkeit des Südens, gliedert den Kosmos der
ganzen Stadt in drei Teile: - die Bergstadt - die Inselstadt -
die Gartenstadt.
Gleichberechtigt neben
der lebenspendenden, fruchtbaren Kraft des Wassers, drückt sich die
inspirierende, geistige Kraft des Feuers durch die sieben Berge aus
Sandstein aus, die durch die jetzt "steinernen" Bäume, den Kirchtürmen,
gekrönt sind und sowohl Weltenachse wie Himmelsleiter für geistige
Inspiration sind, ihre feurige Kraft nach der Verbindung mit Wasser und
Erde, der Hochzeit zwischen Himmel und Erde, wieder ins Land
abstrahlen, Wärme, befeuernde Impulse gebend für Entwicklung.
Zum Berg gehört die
Höhle, die die dritte Kraft zeigt, die nährende Kraft, der Schoß der
Erde, aus dem Leben kommt und wieder zurückgeht.
Alle Berge Bambergs sind
durch ein in den Sandstein gegrabenes Höhlensystem durchzogen. Sie
bieten Schutz, aus ihnen kommt Leben und Nahrung (Bier: BambergerInnen
gehen "auf den Keller" (= Bierkeller in Erdhöhlen), um sich an der
kräftigen "Milch" der Göttin zu laben.). Und aus ihnen kann
auch der Tod (u. a. wurde die Höhlen als Munitionsfabriken im Zweiten
Weltkrieg genutzt) kommen.
In Bamberg ist die
schöpferische Dreiheit dreifach erlebbar:
Berg - Tal - Fluss
Bergstadt - Inselstadt –
Ebene
Feuer - Wasser - Erde
und die Polarität, die
durch ihre Spannung den Kreislauf des Lebens anregt:
Berg--- Tal
Berg Höhle
Stein Wasser
Höhe Tiefe
Sonne Mond
geistliche Stadt
Bürgerstadt
Yang--- Yin
Das ist das Monogramm,
das sich überall in der alten, gewachsenen Stadt findet. Es drückt sich
auf vielen Ebenen aus, z. b. in Baumgruppen mit Bäumen
unterschiedlichen Charakters - hoch aufstrebenden und weit ausladenden,
durch das Zusammenspiel von Häusern und überquellenden, fast wilden
Gärten, durch die Aufteilung der Stadt in einen geistigen/geistlichen
Bereich auf dem Berg mit seinen Kirchen und dem Sitz des Erzbischofs
(fränkischer Vatikan) und der Stadt der Bürger im Tal und auf der
Insel. Nicht zuletzt verkörpert auch das mythische Drachentier der
Stadt dieses Prinzip: die "Domlöwen" oder "Domkröten", zusammengesetzt
aus einem Vorderleib als Kröte (Erde/Wasser) und einem Hinterleib als
Löwe (Feueraspekt). In ihnen hat sich die Geistseele und Kraft des
Ortes ausgedrückt um den Bau des Domes, wohl eine zu einseitige
Anregung des Feuer- und Yangaspektes, zu verhindern. Tatsächlich ist
der Dom zweimal gänzlich durch Feuer vernichtet worden.
Und hier zeigt sich, wie
viel Macht und Kraft die Vereinigung von Himmel und Erde an diesem Ort
hat. Sie erreicht unsere Gefühlswelt und lässt uns den Ort durch Bilder
und damit zusammenhängende Gefühle erfahren. Das ist lebendig geblieben
in den Bildern der vielen Sagen [1]
z.B. vom Dombau: Zwei Baumeister errichten gemeinsam den Dom. Der
Jüngere, der den Westteil erbaut, kommt nicht wie geplant voran und
schließt einen Pakt mit dem Teufel (d.h. er verbündet sich mit der
Kraft der Erde, die hier bereits christianisiert als Teufel erscheint).
Zwei Ungeheuer erscheinen daraufhin und lassen jede Nacht das wieder
einstürzen, was der Ältere tagsüber errichtet hat. Das geht solange bis
der Westbau fertig errichtet und geweiht ist, wobei der Jüngere sein
Leben verliert und seine Seele seitdem das Bauwerk beseelt, da bei
seinem, durch den Teufel verursachten Sturz von der höchsten Turmspitze
aus in die Tiefe seine Seele im Mauerwerk des Turmes hängen bleibt.
Kunigunde – Geistseele Bambergs
Eines meiner prägendsten
Erlebnisse der leibhaftigen Inkarnation der Geistsseele der Erde an
einem Ort ist Bamberg. Die Kaiserin Kunigunde (980 – 1039) [2] -
ihre Symbole sind die Pflugschar und ein Modell des Bamberger Doms -
und Maria (als junge Frau, mächtige Mutter und Alte) sind das Paar in
dem noch heute viele BambergerInnen sowohl ihre Stadt erkennen wie auch
dass das Wohlergehen der Stadt von ihrem Segen abhängt. Sie sind
Schutzpatronin und Leben und Fruchtbarkeit spendende Kraft. Für
Bambergerinnen sind sie darüber hinaus ein Identifikationsmodell
weiblicher Macht und Souveränität.
Personifiziert erscheint
die Geistseele des Ortes von Anfang an als mächtige wunderschöne Frau.
"Waldminne", wird Sie in der Gründungssage genannt. Sie vergibt ihr
Land als "Lehen" an Philipp den Babenberger. Und Sie erscheint nicht
nur auf der geistigen Ebene, sondern wird als leibliche Frau Urahnin
aller BambergerInnen.
Die Sage:
Phillipp schläft bei
einer Mittagsrast auf dem Heimweg vom Rhein an die Ostmark unter einer
großen knorrigen Eiche in der in der Nähe der heutigen Stadt Bamberg.
Er träumt, er wäre in einem heiligen Garten der Götter -
schön, wie er ihn noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Vor ihm steht
ein herrliches, liebliches Weib, eine Engelsgestalt. Sie zeigt ihm die
Sieben Hügel und bittet ihn hier zu bleiben und auf den Hügeln eine
Burg zu bauen. Sie streckt die Hand aus und ruft: „Sieh‘ hin!“ Da sieht
er Sieben Hügel worauf Riesenbäume stehen. Plötzlich wächst aus dem
Boden eine mächtige Feste und er wohnt mit dem schönen Weib darin.
Sieben Söhne schenkt sie ihm und jeder Sohn befestigt einen Hügel. Das
Wachsen und Gedeihen der Stadt zieht vor seinen Augen vorüber. Mit der
Aufforderung der schönen Frau: „Lege den ersten Grundstein für diese
gefeierte Stadt.“, erwacht er. Er hat lange geschlafen. Es dämmert und
der Mond steht schon hoch am Himmel. Von der Erinnerung an den Traum
getrieben, springt er auf und wandert in die ihm von der schönen Frau
gewiesene Richtung. Nach etwa einer Stunde trifft er auf eine Hütte vor
der sein Traumbild, das schöne Weib, steht. Er fragt wo er wäre und sie
antwortet: „Im Siebenhügelland!“. Waldminne, so heißt die schöne Frau,
führt ihn dann, da er Angst hat sich zu verirren, zu seinen Leuten
zurück. Er erzählt seinen Traum und bekennt, dass er sich in sie
verliebt hat. Und nun spricht Waldminne, diesmal in Wirklichkeit, die
Worte: „Bleibe hier und baue deine Burg!“. Philipp bleibt und nennt
seine Burg Babenberg, aus ihr entwickelt sich langsam die Stadt
Bamberg.
Hier scheint noch die
ursprüngliche vorchristliche Form der Göttin durch, die sich dann in
der Kaiserin Kunigunde erneut inkarniert. Bamberg ist Kunigundes
Morgengabe, die sie erhält, als sie als luxemburgische Prinzessin die
Gemahlin des bayrischen Herzogs Heinrich wird. Als Mitstifterin von
Bistum und Kirchen sorgt sie für spirituelle Inspiration und für
kulturelle Anregung genauso wie sie sich für Sicherheit, Fruchtbarkeit
und für die Einhaltung des heiligen Gesetzes der Erde bei allen
Bewohnern einsetzt. Viele Sagen zeigen noch heute die Macht und Kraft
der Kaiserin und ihre Identifikation mit Bamberg ganz in der Tradition
der vorchristlichen Göttin.
Die Sage: Spinnend sitzt
Kunigunde im Schein des Abendrotes am Fenster der Burg und betrachtet
Bamberg. Einen Schutz- und Segensspruch sagend wird Kunigunde mit Kraft
erfüllt, die sie in den Faden, den sie spinnt, weitergibt. Die
Bernsteinspindel erhebt sich, tanzt aus dem Fenster hinaus und während
Kunigunde weiter spinnt, umkreist sie den ganzen Stadtbereich, kein
Gärtlein und kein Haus vergessend. Dunkel wird's, immer weiter spinnt
Kunigunde und der Faden leuchtet in weißem Licht. Bis die Spindel, die
Reise vollendet, wieder durch das Fenster hereinkommt, jetzt erst
bricht der Faden. Die Stadt aber ist gesegnet und geschützt durch das
Gespinst der Kaiserin Kunigunde.
-Sage: Beim
Bau der Stephanskirche ließ die Kaiserin Kunigunde nicht jedem Arbeiter
am Abend seinen Lohn reichen, wie es Sitte war, sondern sie gab ihrem
Schaffner eine Schüssel mit Silberpfennigen und ließ sie im Gebäude
aufstellen. Daraus nahm sich jeder soviel mit wie ihm zustand. Nach
einiger Zeit aber reichten die Silberpfennige nicht mehr und die
Bauleute, die am Schluss kamen, gingen leer aus. Da setzte sich
Kunigunde mit der Schale im Schoß selber hin und die Bauleute zogen an
ihr vorbei, beugten das Knie und nahmen, was ihnen zustand. Dann kam
auch einer, der tat besonders demütig und griff in die Schüssel. Aber
kaum hatten seine Finger das Geld berührt, als er laut aufschrie und
seine Hand weg schleuderte. Da fielen drei blanke Pfennige in den Sand,
die hatten ihm blutige Brandmale in die Hand gebrannt und er musste die
rotglühenden Zeichen tragen bis zu seinem Tod.
Obwohl Kaiser Heinrich
II Bamberg zur Hauptstadt, zum Nabel der Welt machte und der
geomantische Ausbau Bambergs diese Idee noch heute zeigt, ist
es ihm nicht gelungen Kunigunde zur Seite zu drängen. Im Gegenteil:
Selbst im Grab musste er auf Geheiß einer Stimme seinen Platz räumen
und beiseite rücken, als Kunigundes Leichnam beigesetzt wurde, damit
sie den Platz des höheren Ranges einnehmen konnte.
In der Kaiserin
Kunigunde wird heute noch die eigentliche Kraft Bambergs erkannt und
verehrt. Sie ist fest im Herzen vieler alteingesessener BambergerInnen
verankert. Dass Bamberg im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde,
liegt, so ist der feste Glaube vieler BambergerInnen, nur am Schutz der
Kunigunde, die die Stadt unter ihrem Mantel verborgen hat. Ihr
Todestag, der 3. März ist ein Feiertag und am 13. Juli wird ihr Schädel
(in einem kostbaren Reliquienschrein) zusammen mit dem Heinrichs durch
die Stadt getragen, um den Ort zu segnen.
Marien Bambergs
Ihre Kollegin, die mit
ihr die Stadt schützt und vor Not und Seuchen bewahrt ist die alte
dreieinige Göttin:
Maria als Jungfrau - rot
Maria als Mutter -
schwarz
Maria als Alte - weiß
Sie wird repräsentiert
durch die thronende Madonna mit Kind in der (Bürger) Kirche "Zu unserer
lieben Frau" am Kaulberg und in der Pieta in der Martinskirche auf der
Insel. Der Aspekt der Jungfrau wird durch junge Mädchen repräsentiert,
die die Marienstatue auf ihrem Weg durch die Stadt begleiten.
Auch sie schützt und
hilft und wird in allen Nöten angerufen. Sie ist menschlichen Nöten
näher. Ihr Fest, das drei Tage dauert, und die stattfindende Prozession
hat Orakelcharakter für das Wohl und Weh der Stadt und allen Bewohnern:
Bei der Prozession, die von der Oberen Pfarrkirche aus und durch die
Bergstadt auf die Inselstadt in die Martinskirche und zurück geht, wird
die Madonna der Oberen Pfarrkirche durch die Straßen getragen und dann
in der Martinskirche der Pieta gegenüber gestellt, damit sich die
beiden „unterhalten“/ „treffen" können. Kann dieses Treffen nicht
stattfinden, stehen Seuchen, Krieg oder Hungersnot bevor. Unmittelbar
vor Ausbruch des 2. Weltkrieges im August 1938 war es das letzte Mal,
dass die Prozession nicht stattfindenkonnte.
Die besondere Dynamik
der Stadt, die starke Polarität, wiederholt sich im Paar der beiden
Schutzherrinnen: zwischen Kunigunde (Adel, Sonne, Feuer) und Maria
(Bürgerkirche, Mond, Wasser/ Erdschlange).
Als Einheit betrachtet
sind sie die Geistseele des Ortes. Durch die Beschäftigung mit Beiden,
jenseits kirchlicher Schablonen, lässt sich das ganze Potential dieses
gesegneten Ortes und der innewohnenden Dynamik erfassen. Sie bieten
Möglichkeiten, sich dieser Kraft auf einem ganzheitlichen Erfahrungsweg
rückzubinden und sie neu zu erfahren.
[1] Eine
Auswahl der schönsten Sagen ist in dem Buch von Gerhard C. Krischker,
„Die schönsten Bamberger Sagen und Legenden, Bayerische Verlagsanstalt,
1984, erschienen.
[2]
980 – 1039, Gemahlin des Deutschen Kaisers Heinrich II.
Gestorben am 3. März 1039, heiliggesprochen i.J. 1200
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